Pocken, Pest und Cholera. Welche Parallelen gibt es zur Corona-Pandemie?
- 13.11.2020
- In den Jahren 1347 bis 1351 überzog eine gewaltige Pestepidemie ganz Europa. Der Erreger wurde über die Seidenstraße aus Asien importiert. Er kostete 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung Europas das Leben. Es gab keine Heilmittel: Das Prinzip des Impfens wurde erst viel später entdeckt, therapeutische Möglichkeiten besaß man nicht, der Tod konnte alle treffen, und er traf wahllos. Dabei fehlte es nicht an Ratschlägen, die uns auch heute vernünftig vorkommen: Man solle Distanz halten, hieß es. Niemand wusste etwas von Aerosolen, aber die Idee war trotzdem richtig. Man solle lüften, hieß es. Niemand wusste vom Pesterreger, der sich nicht hinauslüften ließ, aber die Idee war trotzdem nicht falsch. Man solle Wärme erzeugen, hieß es. Niemand wusste, dass die Verbreitung von Erregern temperaturabhängig sein kann. Wir wissen: In der trockenen und warmen Sommerluft konnte sich das derzeitige Corona-Virus wesentlich weniger gut verbreiten als jetzt im Winter. Und wer es sich damals leisten konnte, der ging aus der Stadt hinaus aufs Land, in frische Luft, mit wenigen Menschen um sich, und hoffte auf das Überleben. Was sagt uns das? Es scheint überzeitlich geltende Vorsichtsmaßnahmen auf einer gewissermaßen trivialen Ebene zu geben, die wir Menschen nicht deswegen praktizieren, weil wir wissen, dass sie helfen, sondern weil wir das unsichere, aber richtige Gefühl haben, sie täten es. Dass wir heute – 670 Jahre später – viel mehr über Erreger und deren Bekämpfung wissen, ist dem wissenschaftlichen Fortschritt zu danken. Man hat Wissenschaftlern vorgehalten, dass sie im Falle von COVID-19 anfänglich auch diese Trivialmaßnahmen wie Masken skeptisch betrachtet haben: Sie waren sich nicht sicher, ob sie vom Standpunkt der Wissenschaft aus gesehen wirklich helfen. Viel besser wissen wir es immer noch nicht, aber instinktiv ist diese uralte Maßnahme verständlich. Es sei denn, man trägt auf der Straße Hüte aus Alufolie oder faselt im Bundestag von Diktaturen auf Zeit. Vor knapp 130 Jahren wütete ein letztes Mal die Cholera in Deutschland. 1892 brach sie in Hamburg aus. In zweieinhalb Monaten starben knapp 10.000 Menschen an dieser Seuche, immerhin 1,5 Prozent der damaligen Bevölkerung Hamburgs. Verschmutztes Trinkwasser war die Ursache. Es wurde damals ungefiltert aus der Elbe entnommen, war mit Fäkalien und Bakterien kontaminiert und führte angesichts unbeschreiblicher Wohnverhältnisse binnen Kürze zur Verbreitung in den Armenvierteln der Stadt. Robert Koch wurde herbeigerufen und stellte entsetzt fest: „Ich vergesse, dass ich mich in Europa befinde.“ Trotz ihres fürchterlichen Verlaufs war diese Epidemie heilsam: Der Staat lernte, dass Infektionsschutz eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ist. Hamburg bekam gefiltertes Trinkwasser, damals schon eine moderne Müllverbrennungsanlage, die vorher geradezu reaktionäre Verfassung wurde mit dem Ziel geändert, breitere soziale Schichten an der Willensbildung zu beteiligen, und die Stelle eines Hafenarztes wurde geschaffen. Ihr erster Inhaber wurde Bernhard Nocht, ein bei Robert Koch ausgebildeter Tropenarzt, nach dem bis heute eines der angesehensten deutschen Forschungsinstitute auf dem Gebiet der Epidemiologie benannt ist, das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenkrankheiten. Diesen Männern, Koch genauso wie Nocht, verdanken wir bis heute unendlich vieles, und es schmälert die Verdienste der Drostens unserer Tage in keiner Weise, wenn wir an diese Mediziner der Zeit um 1900 erinnern.