Wahlrecht mit 16. Wer würde profitieren?
- 13.11.2020
- Artikel 20 des deutschen Grundgesetzes legt fest: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen (…) ausgeübt.“ Doch wer ist das Volk? Es gibt 73 Millionen deutsche Staatsbürger, aber nur 61 Millionen davon dürfen an den Wahlen zum Bundestag teilnehmen. Rund 17 Prozent sind also vom Wahlrecht ausgeschlossen und gehören sichtlich nicht ‚zum Volk‘. 1871, als das Deutsche Reich gegründet wurde, galt schon das allgemeine Wahlrecht, jedoch nicht für Frauen, und nur für Männer ab 25 Jahren. Im 19. Jahrhundert durften daher circa 80 Prozent der Deutschen nicht wählen. Nach mehreren Änderungen, in denen auch Frauen die demokratisch nötige ‚Verstandesreife‘ attestiert wurde, sind erst seit 1970 alle Staatsangehörigen ab 18 Jahren aktiv und passiv wahlberechtigt, aber eben Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren weiterhin nicht. Und dies, obwohl von einem Mindestalter im Artikel 20 des Grundgesetzes nichts steht. Viele Juristen sehen die ‚Verstandesreife‘ als demokratisch nötige Voraussetzung. Das Grundgesetz legt diese in Artikel 38 mit der Vollendung des 18. Lebensjahr fest, ohne eine Begründung für diesen Zeitpunkt zu liefern. Mehrere Parteien und Politiker fordern eine weitere Ausweitung des Wahlrechts durch ein Absenken des Wahlalters, etwa auf 16 Jahre. Was hätte dies für Auswirkungen, und würden gewisse Parteien davon voraussichtlich profitieren? Ein paar Zahlen könnten Aufschluss darüber geben, ob dies zu einer massiven Veränderung der Zusammensetzung des Bundestages führen würde. Circa anderthalb Millionen 16- bis 17-jährigen jugendlichen Wählern stünden 61 Millionen andere Wahlberechtigte gegenüber, nur 2,5 Prozent der Wähler wären jünger als 18. Und grundsätzlich hängt diese Frage dann von der Wahlbeteiligung der Jugendlichen ab. So nehmen zum Beispiel bei den Wahlen zur Studentenvertretung in Osnabrück traditionellerweise nur circa 15 Prozent der wahlberechtigten Studenten ihre Wahlmöglichkeiten wahr. In den letzten Jahren waren Jugendliche bei immer mehr Kommunalwahlen wahlberechtigt, und deren Wahlbeteiligung lag durchschnittlich um 10 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt. Dies wäre eventuell auch für die Wahlbeteiligung der 16- bis 17-Jährigen bei Bundestagswahlen zu erwarten. Jugendliche wählen nach bisherigen Wahlanalysen vermehrt die Grünen, die daher leichte Vorteile erwarten dürften: Allerdings würde sich dies vermutlich auf einen zusätzlichen Stimmenanteil von nur 0,1 Prozent belaufen, mit minimalsten Nachteilen für die anderen Parteien. Doch bei knappen Mehrheitsverhältnissen könnten 0,1 Prozent schon entscheidenden Einfluss auf die Zusammensetzung der Bundesregierung haben. Andererseits: Warum bei 16 Jahren stehen bleiben? Warum nicht für eine weitere Absenkung des Wahlalters plädieren, unter Umständen sogar alle deutschen Staatsangehörigen unabhängig von ihrem Alter als wahlberechtigt zulassen? Ein derartiges Familienwahlrecht haben prominente Politiker wie zum Beispiel Roman Herzog, Manuela Schwesig, Jens Spahn und Wolfgang Thierse mehrfach gefordert. Falls das juristisch möglich wäre, könnte dies jedenfalls dazu führen, dass Kindern, Jugendlichen und Familien – also jenen Bevölkerungsgruppen, die die Lasten des Staatsschuldenbergs in Zukunft schultern müssen – eventuell mehr politische Aufmerksamkeit zuteilwird, als dies derzeit der Fall ist.