Glaube an geheime Mächte. Warum finden Verschwörungsmythen so viel Resonanz?
- 13.11.2020
- Reale Verschwörungen existieren, denken wir an Edward Snowden, der den NSA-Skandal aufgedeckt hat. Der Unterschied zwischen einer wirklichen Verschwörung und einem Mythos besteht darin, dass Menschen am Mythos festhalten, auch wenn zahlreiche Evidenz dagegenspricht, wenn nicht der Erkenntnisgewinn im Zentrum steht, sondern die Bestätigung des eigenen Weltbilds. Häufig beinhalten Verschwörungsmythen antisemitische Botschaften. Verschwörungsmythen finden Resonanz, weil sie unterschiedliche psychologische Funktionen erfüllen. Menschen werden anfälliger für Verschwörungserzählungen in Zeiten persönlicher und gesellschaftlicher Verunsicherung, wenn sie einen Kontrollverlust wahrnehmen (zum Beispiel ausgelöst durch Schicksalsschläge oder eine gesellschaftliche Krise) oder wenn sie unter chronischem Kontrollverlust leiden. Verschwörungserzählungen sollen helfen, Kontrolle über eine Situation wiederzuerlangen: Man bekommt einfache Erklärungen geliefert und hat das Gefühl, etwas durchschaut zu haben, was die meisten anderen nicht erkennen. Dieses Gefühl beflügelt den Selbstwert. Zudem benennen Verschwörungsgläubige ein klares Feindbild – es werden Schuldige für das eigene Leid identifiziert und eine Mobilisierung „wir gegen die“ kann zu einem neuen Gemeinschaftsgefühl unter Gleichgesinnten führen, was sich ebenfalls positiv auf die soziale Identität und den Selbstwert auswirkt. Zentrales Element von Verschwörungsmythen ist der Wunsch, gegen die offizielle Version einer Geschichte zu sein. Das kann sogar so weit gehen, dass man widersprüchlichen Mythen zustimmt: diejenigen, die glauben, das Corona-Virus existiere nicht, sind mit höherer Wahrscheinlichkeit gleichzeitig der Auffassung, dass es von Bill Gates in die Welt gesetzt wurde. Verschwörungsmythen finden jedoch nicht bei allen Menschen gleichermaßen Resonanz. Verschwörungsgläubige sind stärker misstrauisch, wittern überall Gefahr, reagieren sensibel auf Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit und sind gegenüber Politik, Medien und Wissenschaft feindselig eingestellt. Viele von ihnen finden es richtig, wenn sich die Stärkeren gegenüber den Schwächeren durchsetzen, ordnen sich politisch eher rechts ein und haben eine Tendenz an übernatürliche Kräfte und Gedankenübertragung zu glauben. Obwohl manche Verschwörungsmythen komisch oder absurd erscheinen, sind sie nicht harmlos. Wer einer Verschwörungserzählung zustimmt, glaubt auch eher eine andere. Wir finden in unseren Forschungsdaten einen Zusammenhang zwischen der Annahme, geheime Organisationen hätten das Corona-Virus in die Welt gesetzt und antisemitischen und rassistischen Einstellungen. Das macht Verschwörungsmythen gefährlich. Obwohl es Verschwörungsmythen schon vor Jahrhunderten gab, verbreiten sie sich durch soziale Medien heute wesentlich schneller. Wir folgen gezielt bestimmten Organisationen oder Einzelpersonen, wir verbreiten Informationen, die uns gefallen und vertrauen Informationen oft mehr, wenn sie von Personen kommen, die wir kennen. Das hat schöne Seiten, ist aber auch fatal. Es fördert unseren ‚confirmation Bias‘ – die Tendenz, dass wir uns nur für solche Informationen interessierten, die in unser Weltbild passen. Befindet man sich erst einmal in einem verschwörungsmythischen Echoraum, wird man mit genau diesen Informationen weiter gefüttert und festigt sein Weltbild. Das ist ein weiterer Grund dafür, warum Verschwörungsgläubige sehr hartnäckig an ihren Ideen festhalten.