Wohin treibt Amerika? Was ist übrig vom transatlantischen Bündnis?
- 13.11.2020
- Die beiden Fragen bringen prägnant grundlegende Sorgen in Bezug auf das zukünftige Verhältnis zwischen Europa und den USA auf den Punkt – ein Verhältnis, das sich in den letzten vier Jahren unter Präsident Donald Trump in vielen Aspekten erheblich verschlechtert hat. Für viele politische Beobachter aus Deutschland bedeutete die Amtszeit Trumps einen historischen Tiefpunkt in den Beziehungen zu Amerika. Nun aber sieht es so aus, als sei die Ära Trumps rechtzeitig vor einer zweiten Amtszeit zu Ende gegangen. Und schon die ersten Glückwünsche europäischer Regierungen an den demokratischen Gewinner der US-Wahl, Joseph R. Biden, brachten zum Ausdruck, wie viel den Europäern an einer Rückkehr zu einem verlässlichen transatlantischen Verhältnis gelegen ist. Die verbreitete Hoffnung auf eine gemeinsame Rückkehr zur Normalität in den transatlantischen Beziehungen scheint nicht ganz unberechtigt: Schon während seines Wahlkampfes hatte Biden mehrfach versprochen, das politische Ansehen in der Welt und das Vertrauen in die USA wieder erneuern zu wollen – ganz konkret zum Beispiel durch den versprochenen Wiedereintritt in das Pariser Klimaabkommen unmittelbar nach seinem Wahlsieg oder auch durch seine Bekenntnisse zur Nato. Auch die Tatsache, dass Biden in seiner Zeit als Vizepräsident während der Obama Administration sehr erfolgreich zahlreiche diplomatische Verbindungen knüpfen konnte und so die transatlantischen Beziehungen auf höchster Ebene pflegte, scheint darauf zu deuten, dass der neue Präsident Biden zu vertrauten Formen diplomatischer Verhandlung zurück kehren wird. Die zu erwartende Rückkehr zur Konzilianz – wenn nicht immer in der Sache, dann doch wenigstens im Ton – ist sicherlich begrüßenswert. Doch der wesentlich umfassendere Schaden, den das transatlantische Bündnis durch die Brachialdiplomatie Trumps und seiner außenpolitischen Vertreter wie Mike Pompeo erleiden musste, wird ein Wechsel im Weißen Haus allein nicht beheben können. Auch ein Präsident Biden wird nicht einfach zu ‚business as usual‘ zurückkehren können – denn was ist schon ‚usual‘ in den Zeiten einer globalen Pandemie, für deren kompetente Bekämpfung viele US-Wähler ihre Stimme dem neuen und nicht dem alten Präsidenten gaben. Amerikas Selbstfindung und Selbstheilung stehen auf der Liste der Herausforderungen für den neuen Präsidenten ganz oben, deutlich vor den notwendigen Reparaturarbeiten an transatlantischen Brücken. Auch für Biden, so seltsam es klingen mag, heißt es zunächst „America First“ – wenngleich dies weniger als Isolation, sondern eher als Selbstbesinnung gemeint sein wird. Die Europäer sind jedoch genauso gefordert, Antworten für die Zeit nach Trump zu finden – was tatsächlich übrig ist vom transatlantischen Bündnis, ist auch abhängig von der Standortbestimmung Europas. Schließlich haben die europäischen Länder ganz unterschiedlich auf Trump reagiert. Während viele glaubten, der politische Schaden ließe sich durch etablierte Formen der Diplomatie in Grenzen halten, wandten sich einige Länder deutlich von den USA ab. Andere dagegen sahen im Aufstieg Trumps eine Stärkung der eigenen autokratischen und nationalistischen Aspirationen. Und der Brexit zeigte, wie brüchig selbst europäische Bündnisse sind. Es gibt viel zu tun für den neuen amerikanischen Präsidenten – aber auch für seine europäischen Partner.