Friedensforschung. Können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Kriege verhindern oder analysieren sie nur?
- FB 01 – Kultur- und Sozialwissenschaften
- Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien
- 13.11.2020
- Wenn es ein Leitmotiv für die Friedens- und Konfliktforschung gibt, dann lautet es: Vorbeugen ist besser als heilen. Die Forschung zu Kriegsursachen wie auch zu Strukturen und Bedingungen des Friedens eint das Ziel, Kriege und gewaltsame Konflikte zu verhindern – und zwar sowohl innerhalb von Gesellschaften als auch zwischen Staaten. Dabei lassen sich zwei Formen der Konflikt- und Gewaltprävention unterscheiden: Die erste betrifft die kurzfristige, operative Prävention, um Konfliktauslöser zu unterbinden und eine drohende Gewalteskalation zu verhindern oder einzudämmen. Die zweite bezieht sich auf die langfristig wirksame, strukturelle Prävention, die sich mit tiefer liegenden Ursachen von Gewaltkonflikten wie soziale Ungleichheit, Diskriminierung, politische Repression, Feindbilder oder mangelnde staatliche Strukturen beschäftigt. Im ersten Fall handelt es sich um akute Krisendiplomatie, Streitschlichtung und Vermittlungsbemühungen; im zweiten um die umfassende Förderung einer globalen wie lokalen ‚Friedens-Infrastruktur‘, damit Staaten und Gesellschaften ihre Konflikte auf gewaltfreie und regulierte Weise lösen. Auf internationaler Ebene sind etwa die Vereinten Nationen trotz aller Defizite ein unverzichtbarer Teil einer solchen ‚Infrastruktur‘. Die Friedensforschung hat zu beiden Feldern der Prävention Konzepte und Erkenntnisse vorgelegt, die eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen von Prävention sind. Kurzum: Ohne Analyse gibt es auch keine erfolgreiche Prävention. Gleichwohl sind offenkundig Kriege und Massengewalt leider nicht aus unserer Realität verschwunden. Der Friedensforschung ergeht es dabei nicht anders als anderen Forschungsgebieten: Klimaforschung führt nicht per se zur Eindämmung des Klimawandels, medizinische Forschung nicht zur Abschaffung von Krankheiten und die Wirtschaftswissenschaft wohl kaum zu einer Welt ohne Finanzkrisen. In der Praxis ist Prävention ein schwieriges Geschäft, an dem viele in Politik und Gesellschaft beteiligt sein müssen. Umgekehrt muss sich die Friedensforschung auch Gehör verschaffen, sie muss Empfehlungen und Alternativen in die Öffentlichkeit tragen oder aktiv an konkreten Friedens- und Vermittlungsprozessen mitwirken. Während sich jedoch Infektionsgeschehen oder Klimawandel halbwegs seriös berechnen und vorhersagen lassen, ist dies mit der Prognose drohender Kriege oder akuter Gewaltdynamiken ungleich schwerer. Es lässt sich auch kein Impfstoff gegen Gewalt entwickeln, sondern es bedarf eines Prozesses der gesellschaftlichen Selbst-Immunisierung. Hier wie dort greift das Präventionsparadox: Je besser präventive Maßnahmen wirken, um Schäden zu vermeiden, desto weniger werden Frühwarnungen und Alarmsignale wahr- und ernstgenommen, was wiederum zur Vernachlässigung von Präventionsbemühungen führen kann. Erfolgreiche Prävention lässt sich kaum beweisen, da niemand sicher sagen kann, ob ein Konflikt ansonsten gewaltsam verlaufen wäre oder nicht. Dieser Umstand stellt nicht nur die Friedensforschung vor Herausforderungen, sondern erschwert es auch demokratischer Politik, die notwendige Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten und erhebliche Ressourcen in die Verhütung von Krieg und Gewalt zu investieren. Frieden schaffen und erhalten bleibt daher eine Daueraufgabe, die weder von der Wissenschaft noch der Politik allein bewältigt werden kann, sondern in jeder Gesellschaft auf die Mitwirkung von engagierten Menschen elementar angewiesen ist.