Ehegattensplitting. Heute noch zeitgemäß?
- 12.11.2021
- Ehepaare können in Sachen Steuererklärung zwischen der Einzel- und der Zusammenveranlagung wählen. Entscheiden sie sich für Letztere, greift das Ehegattensplitting: Das zu versteuernde Einkommen beider Partner wird dabei addiert und anschließend halbiert, dann wird die Steuerschuld für die Hälfte des Gesamteinkommens berechnet und schließlich verdoppelt. Steuerlich ist dies in der Regel günstig, da bei der Einkommensteuer der Steuersatz mit dem Einkommen steigt. So werden beispielsweise auf zwei Einkommen in Höhe von 30.000 Euro weniger Steuern erhoben als auf ein Einkommen in Höhe von 60.000 Euro. Im Ergebnis führt die sogenannte Steuerprogression dazu, dass der Splittingvorteil am größten ist, wenn ein Partner ein hohes Einkommen hat und der andere keins. Je näher die Einkommen der Partner beieinanderliegen, desto geringer ist die Steuerersparnis; verdienen beide gleich viel, profitieren sie gar nicht. In der Theorie soll das Splitting Wahlfreiheit gewährleisten, indem Ehepaare unabhängig davon besteuert werden, wer wie viel zum Haushaltseinkommen beiträgt. Die zentrale Kritik besagt allerdings, dass es in Wirklichkeit keineswegs neutral ist, da es de facto die Hausfrauenehe fördert und umso weniger bringt, je gleichmäßiger sich ein Paar Erwerbs- und Hausarbeit teilt. Tatsächlich erweist sich das Splitting als Anreiz für eine „klassische Rollenverteilung“. Denn das jeweils niedrigere Einkommen, typischerweise das der Frau, muss erst einmal den schrumpfenden Splittingvorteil ausgleichen, um sich zu lohnen. Gerade für Paare mit Kindern, für die bei doppelter Berufstätigkeit Mehrkosten für Betreuung entstehen, liegt es nahe, dass die Frau ganz oder weitgehend „zu Hause bleibt“ – mit allen negativen Folgen, die das für ihre künftigen Verdienstchancen und ihre Rente hat, vom Armutsrisiko im Fall einer Scheidung ganz zu schweigen. Dieser Lenkungseffekt, den das Splitting nicht allein verursacht, aber verstärkt, lässt es als verfassungsrechtlich suspekt erscheinen. Denn das Grundgesetz erteilt dem Staat ausdrücklich den Auftrag, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Zudem ist das Splitting arbeitsmarktpolitisch verfehlt und, da es vor allem Besserverdienern nützt, sozial unausgewogen. Zurecht setzt sich daher zunehmend die, etwa im Neunten Familienbericht der (alten) Bundesregierung vom März 2021 formulierte Ansicht durch, dass es Zeit ist für einen „Einstieg in den Ausstieg“ aus dem Ehegattensplitting. Einfach abschaffen kann man es allerdings nicht. Bestehenden Ehen kann man es nicht nehmen. Und für die Zukunft verlangt das Grundgesetz, dass Heiraten weiterhin jedenfalls keine Nachteile bringt. Die Zusammenveranlagung ohne Splitting kommt daher nicht in Betracht. Und auch die reine Individualbesteuerung scheidet aus, da die eheliche Unterhaltspflicht unberücksichtigt bliebe. Vielversprechend erscheint dagegen ein sogenanntes Realsplitting. Dieses kombiniert die Einzelveranlagung mit einem zwischen den Partnern übertragbaren, der Höhe nach an der Unterhaltsbelastung orientierten Freibetrag. Zwar ließen sich negative Effekte auch dadurch nicht völlig vermeiden. Würden zugleich aber weitere Maßnahmen zur Erleichterung von Frauenerwerbstätigkeit ergriffen und Kinder steuerlich stärker berücksichtigt, wäre viel gewonnen – nicht zuletzt würden dann auch die vielen Familien profitieren, in denen Eltern unverheiratet zusammenleben oder ihre Kinder allein erziehen.