Warum hängt man die Kleinen und lässt die Großen laufen?
- 07.11.2008
- Es gibt verschiedene Gründe für die Wahrnehmung, dass man die "Kleinen" bestraft, während die "Großen" (relativ) ungeschoren davonkommen: 1. Im Mittelpunkt des Problems steht die Beweisfrage. Das lässt sich am Beispiel des Drogenhandels zeigen. Wenn die Polizei den Kleindealer bei Verkaufsbemühungen ertappt, ist ihm der strafbare Handel mit Betäubungsmitteln problemlos nachzuweisen. Der Kopf der Dealerbande, der selbst keine Drogen in die Hand nimmt, ist dagegen nur schwer zu ermitteln. Das System ist wie auch bei anderen Formen der organisierten Kriminalität auf Verschleierung angelegt. Fahndungserfolge - beispielsweise durch den Einsatz einer Telefonüberwachung oder verdeckter Ermittler - bleiben selten. 2. Mit diesen faktischen Nachweisproblemen vermengen sich insbesondere im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts juristische Zurechnungsprobleme. Wenn der Sachbearbeiter falsch bucht oder der Arbeiter Abfälle illegal entsorgt, mag das auf einer Unternehmenskultur beruhen, für die der Unternehmer verantwortlich ist. Eine Weisung, sich im Einzelfall derart zu verhalten, wird es zumeist nicht geben - jedenfalls lässt sie sich nicht oder oftmals nur unter unverhältnismäßig anmutendem hohem Ermittlungsmethodenaufwand nachweisen. Hier stellt sich die Frage, ob man Straftatbestände einführen möchte und darf, die es ermöglichen, den Vorgesetzten ohne den Nachweis konkreter Weisungen eine strafrechtliche Verantwortung zuzuschreiben. 3. Gerade im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts tritt eine weiteres Phänomen hinzu, das die Wahrnehmung, man lasse die "Großen" laufen, verstärkt: Wenn es trotz der genannten Schwierigkeiten zu einem Ermittlungsverfahren kommt, endet das Strafverfahren häufig mit einer Absprache zwischen den Verfahrensbeteiligten. Anders als etwa der Ladendieb verfügt der Wirtschaftsstraftäter über ein Drohpotential. Aufgrund des Umfangs des Materials (Aktenberge) und der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes kann er in Verbindung mit einer auf Verfahrensverzögerung angelegten Verteidigungsstrategie ein langatmiges Gerichtsverfahren in Aussicht stellen. Das weckt die Bereitschaft von Gericht und Staatsanwaltschaft, in einer Absprache eine Sanktion anzubieten, die nach Art und Höhe kaum noch schuldangemessen erscheinen mag.