Warum haben Mädchen einen größeren Wortschatz als Jungen?
- 12.11.2010
- Dass Mädchen den Jungen in bestimmten sprachlichen Bereichen überlegen sind, ist mehr als ein Klischee. Die Spracherwerbsforschung konnte mehrfach bestätigen, dass Mädchen bereits im Kleinkindalter im Durchschnitt über einen größeren Wortschatz verfügen als gleichaltrige Jungen, die dagegen im räumlich-visuellen Bereich häufig kompetenter sind. Eine Studie an über 1.000 Kleinkindern in den 1990er Jahren hat beispielsweise ergeben, dass Mädchen im Alter zwischen 16 Monaten und zweieinhalb Jahren ihren männlichen Altersgenossen im Wortschatz ca. 8 Wochen voraus sind. Auch im Schulalter zeigen sich immer wieder Wortschatz-Vorsprünge bei weiblichen Probandinnen. In der DESI- Studie (»Deutsch-Englisch-Schülerleistungen International«), die die Sprachproduktion und das Sprachverstehen von Neuntklässlern prüfte, zeigten die Mädchen im Teilaspekt »Wortschatz« deutlich bessere Ergebnisse, während in der Aussprache und der Sprechflüssigkeit allerdings die Jungen vorne lagen. Die These, dass Mädchen in sprachlichen Dingen generell kompetenter wären, ist empirisch also nicht haltbar. Zur wissenschaftlichen Erklärung der kognitiven Geschlechterunterschiede gibt es mehrere Theorien. Wohl am populärsten ist die These von der Spezialisierung der Gehirnhälften. Die linke Hälfte, die für die Speicherung bekannter Phänomene zuständig ist, und damit auch für die Repräsentation von Wörtern, müsste also bei Mädchen aktiver sein. Bei Jungen arbeitet dagegen die rechte Hälfte stärker, in der neue, unbekannte Strukturen verarbeitet werden (räumliches Denken, aber auch Sprechflüssigkeit). Neben den Gehirnhälften wird auch der Hormonspiegel bei Ungeborenen für den frühkindlichen Wortschatzvorsprung verantwortlich gemacht. Danach soll die Konzentration männlicher und weiblicher Hormone eine Ursache für bestimmte Fähigkeiten sein, zum Beispiel in der Sprache oder im räumlichen Denken, und diesen Einfluss sogar lebenslang ausüben. Wiederum andere Erklärungsansätze setzen angeborene Unterschiede mit sozialen Faktoren in Beziehung und behaupten, dass die jeweils unterschiedlichen Erwartungen, die an Mädchen und Jungen herangetragen werden – von Eltern, Lehrern/Erziehern und der Gesellschaft – die frühkindlichen Veranlagungen weiter verstärken können. Dies würde z.B. erklären, warum sich stereotype Interessen und Neigungen im späteren Leben häufig sogar noch verfestigen. Wie dem auch sei – die geschlechtsspezifischen Unterschiede sind insgesamt eher gering ausgeprägt und individuell ganz unterschiedlich. So finden wir selbstverständlich unter den Jungen ebenso Sprachgenies wie es wortkarge Mädchen gibt.