Freud'sche Fehlleistung? Was da ales zum Vorsch(w)ein kommt
- 11.11.2011
- Eines der bekanntesten Beispiele der letzten Zeit, das auch bei YouTube dokumentiert ist, stammt vom damaligen Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble, und zwar in seiner Rede bei den 3. Berliner Medienreden am 24.11.2008: »Aber natürlich hat uns spätestens das letzte Jhd. gelehrt, dass wir der Führ/ der Verführungskraft der Medien auch nicht zu uneingeschränkt trauen dürfen. Und inzwischen eröffnen nun Computer und Internet ganz neue Austausch- und Informationskontrolle äh -kanäle über Grenzen hinweg.« Das Publikum schmunzelte natürlich nicht, weil Schäuble sich versprochen hat, sondern weil man aufgrund von Schäubles innenpolitischer Haltung annehmen kann, dass er den Ausdruck »Kontrolle« tatsächlich intendiert und er dies dem Publikum unbeabsichtigt enthüllt hat. Psychologen wie Siegmund Freud gingen lange davon aus, dass jegliche Versprecher Zeichen für fehlgeleitete Assoziationen sind, auch dann, wenn sie z. B. »nur« sprachliche Vertauschungen zur Folge haben wie »Klau- und Maulenseuche«. Welches aber sind die Faktoren, die letztlich zu Versprechern führen? Da wir immer verschiedene Gedanken und Assoziationen im Kopf haben, müssten wir uns auch laufend versprechen, was wir aber nicht tun. Wir sind nämlich in der Lage, unsere Sprache durch unsere Gedankenführung bewusst zu steuern und Dinge, die wir nicht sagen wollen, zu hemmen. Das geht mal leichter und mal weniger leicht, immer verlangt es jedoch eine gewisse Aufmerksamkeit. Wenn diese Aufmerksamkeit nachlässt, ist die Gefahr groß, dass man sich verspricht. Wir kennen dies zum Beispiel bei Müdigkeit und nach dem zweiten Glas Rotwein, wenn wir den neuen Kollegen als sehr »synthetisch« bezeichnen oder nach einem »Tassenmescher« fragen. Nun war der Versprecher von Schäuble aber noch anders gelagert, was ihn für das Publikum so lustig und für ihn selbst peinlich machte: Zur Unaufmerksamkeit kam nämlich etwas hinzu, das Freud den »ungehemmten Fluss der Assoziationen« nannte. Der Sprecher wird gleichzeitig unaufmerksam und lässt seinen Gedanken freien Lauf – die Leistung des Sprechers, Redeabsicht und Rede zu koordinieren wird also gestört, wird zur Fehlleistung. Die linguistische Versprecherforschung geht übrigens nicht davon aus, dass Versprechern, wie Freud annahm, immer unbewusste Gedankengänge zugrundeliegen, sondern erklärt solche Phänomene rein sprachlich. Im Beispiel des Schäuble-Zitats, das unter die Kategorie der Wortkontamination fällt, wurde das intendierte Wort Kanäle deshalb durch das geäußerte Wort Kontrolle ersetzt, weil der menschliche Sprachprozessor nach einer bestimmten Lautstruktur gesucht hat – einem dreisilbigen Wort mit Betonung auf der zweiten Silbe, das mit k- beginnt und auf -le endet; zugegriffen wurde dann auf einen dieser Struktur entsprechenden, aber eben falschen Eintrag in Schäubles innerem Lexikon.