Schwäbisch, Bairisch, Sächsisch. Warum ist Hochdeutsch die Standardsprache?
- 23.11.2012
- Um zu verstehen, wie und warum sich unser heutiges Hochdeutsch zu einer normierten Standardsprache entwickeln konnte, müssen wir uns die Situation im deutschen Sprachgebiet vor etwa 400 Jahren klarmachen: Eine einheitliche Hochsprache, wie wir sie heute vorfinden, gab es damals nicht, vor allem nicht im Gesprochenen, dafür gab es damals auch keinen Bedarf. Als Schriftsprache hatte das Deutsche, nachdem es gegenüber dem Lateinischen vorher kaum eine Rolle gespielt hatte, bedingt unter anderem durch Handel, Letterndruck und Bibelübersetzung, in der frühen Neuzeit einen ungeheuren Aufschwung erlebt. Da daran zugleich die Notwendigkeit der überregionalen Lesbarkeit geknüpft war, hatten sich etwa bis zur Zeit des Westfälischen Friedens aus den vielen ehemaligen Schreib- und Druckersprachen zwei große Schriftsprachen herausgebildet: Südlich des Mains eine oberdeutsche Schriftsprache und nördlich davon eine ostmitteldeutsche. Auf dem Weg dorthin hat das sprachliche Wirken Luthers einen beträchtlichen Einfluss auf die später von der Sprachgemeinschaft bevorzugte Varietät: Luther war insgesamt um Ausgleich bei der Verwendung der regionalen Mundarten bemüht, hat aber zum Beispiel südwestdeutsche Idiome in seinen Texten gar nicht berücksichtigt. Deshalb hatten Schwäbisch und Alemannisch, obgleich mit Basel, Tübingen, Straßburg oder Augsburg hier eine hohe Dichte an Druckerorten bestand, keine Chance, Standardsprache zu werden. Unentschieden blieb das Rennen um den Titel Standardsprache für das Bairische und das Ostmitteldeutsche. Nun boten sich den Sprachgelehrten theoretisch zwei Möglichkeiten: Entweder man erklärte eine dieser Varietäten zur Schrift- bzw. Standardsprache, oder man versuchte eine Kompromisslösung, indem man möglichst viele Elemente der einzelnen Dialekte in einer gemeinsamen Schriftsprache vereinte. Vereinfacht gesagt wurde die zweite Lösung schließlich realisiert: Auf Grundlage der ostmitteldeutschen Varietät wurde eine schriftliche Kunstsprache geschaffen, die auch Elemente und Strukturen des Oberdeutschen und sogar des Niederdeutschen aufweist. Dass sich diese Sprachform dann durchsetzen konnte, verdanken wir vor allem dem Aufklärer Johann Christoph Gottsched, der in der Gelehrtenwelt großen Einfluss hatte und das Obersächsische zum sprachlichen Vorbild erklärte. Um 1780 war Deutsch zu einer Literatursprache avanciert, die auch im europäischen Ausland wahrgenommen wurde und deren Siegeszug gegen die oberdeutsche Schriftsprache nun nicht mehr aufzuhalten war. Normiert wurde sie übrigens schrittweise durch die Grammatiker des 18. und 19. Jahrhunderts. Unser Hochdeutsch, wie wir es heute sprechen und schreiben, geht also nicht auf eine natürliche gesprochene Mundart zurück, sondern ist in einem jahrhundertelangen Prozess künstlich geschaffen worden. Von alledem bekamen die einfachen Leute der Städte und die Landbevölkerung zunächst übrigens kaum etwas mit; bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein, als das Radio auch eine gesprochene Standardsprache erforderlich machte, wurde eher Mundart gesprochen, in und um Osnabrück war das, wie in fast allen Teilen Norddeutschlands, eine Form des Niederdeutschen. Hochdeutsch musste von den Kindern in der Schule damals als Fremdsprache gelernt werden.