Chatten, google, fernsehen. Ist der Jugend der Lesespaß vergangen?
- 14.11.2014
- Diese Frage ist differenziert und damit geschickt gestellt – so ist sie mit einem »Ja« zu beantworten. Das wäre sie nicht, würde man beispielsweise »Jugend« durch »Kinder« oder »Erwachsene« ersetzen. Das wäre sie auch nicht, würde man den »Lesespaß« durch die meist benutzte Formulierung »das Lesen« ersetzen. Erst recht kompliziert wird die Sache, wenn – wie in der Frage angedeutet – das Lesen in eine Konkurrenz zu den alten audiovisuellen oder den neuen digitalen Medien gerückt wird. Hier deutet sich schon an, dass die Lese(r)forschung eine vorsichtig argumentierende Disziplin ist. Sie muss viele genaue Unterscheidungen vornehmen, um nicht am Ende vorschnell in die alte Klage über eine zunehmend verdummende, weil unbelesene, Jugend zu verfallen. Sie kann auf diese Weise wichtig sein, denn ein Großteil der Ausrichtung des Schulfaches Deutsch baut auf ihren Erkenntnissen auf. Welche Erkenntnisse sind dies nun? Also: Sicher wird in Deutschland nicht weniger gelesen als früher, wenn man sich an den Zahlen des Buchhandels orientiert. Aber: Die gelesenen Bücher entfallen heute auf weniger Leser, und es gibt immer mehr Nichtleser (etwa 25 Prozent). Leser sind bei uns seit je vor allem Kinder, Nichtleser meist ältere Menschen. Die Jugendphase ist auch seit je eine Umbruchszeit hinsichtlich des Lesens; vor allem Jungen »erleiden« den sogenannten »Leseknick« mit Eintritt in die Pubertät. Aber eines ist doch als wesentliche Veränderung herauszustellen: Untersucht man die »Gratifikationen« des Lesens (also den vom Individuum erwarteten Nutzen des Lesens), so lesen Jugendliche tatsächlich heute weniger aus Freude an Identifikation oder am Eintauchen in die fiktive Welt. Sie lesen also tatsächlich weniger »aus Spaß« als vielmehr aus Bildungszwecken, also mit dem Ziel, sich Wissen für den späteren Beruf anzueignen. Die soeben genannten Funktionen des »Unterhaltungslesens« werden heute vorrangig durch Filme und vor allem natürlich durch PC-Spiele abgedeckt, die mit virtuell immer perfekteren Welten das »Eintauchen« erleichtern und interaktiv sind. Außerdem funktioniert das Lesen in der Gruppe der unter Dreißigjährigen anders als bei den Generationen, die den Erstkontakt mit Schrift nicht am Bildschirm erlebten: Man kann das Lesen der Jüngeren mit den Schlagworten »Switchen, Zappen, Zoomen« beschreiben, was bedeutet, dass Leseformen, die am Bildschirm eingeübt werden, auch auf das Lesen von Printmedien wie Bücher und Zeitungen übertragen werden. Für den Schulunterricht im Fach Deutsch hat das erhebliche Konsequenzen. Der Lehrende kann sich eben nicht mehr darauf einstellen, dass Jugendliche über genügend »Leseatem« verfügen, um ein umfangreiches Werk lesen und verstehen zu können. Häufig fehlt auch das Vermögen, einzelne bedeutsame Textstellen vor dem Hintergrund des ganzen Werks erschließen zu können. Auch erfolgt die Wertschätzung der literarischen Tradition häufig nicht mehr vor dem Hintergrund des eigenständig Gelesenen, sondern mehr mit Bezug auf die gesellschaftliche Reputation, die ein Autor oder ein Werk genießen. Recht schwierig wird es vor allem da, wo die Freude an Hochliteratur in der Oberstufe vermittelt werden soll, zumal, wenn (oft jüngere) Lehrende selbige auch nicht empfinden.