Polit-Biotop Berlin. Handeln Lobbyisten verfassungswidrig?
- 13.11.2015
- Der englische Begriff „Lobby“ bezeichnet die Vorhalle des Parlaments. Dort versuchen Lobbyisten als Angehörige von Interessengruppen, die Abgeordneten für das Interesse ihrer Gruppe einzunehmen. Ist das verfassungswidrig? Das Grundgesetz und die Niedersächsische Landesverfassung haben nichts dagegen, wenn Bürgerinnen und Bürger im eigenen Interesse handeln. Weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber müssen ihre berufliche Tätigkeit nach gesamtgesellschaftlicher Nützlichkeit ausrichten, sondern dürfen beide – durch Grundrechte geschützt – die persönliche Profitmaximierung zum Maßstab erheben. Bürgern, Unternehmen und Verbänden ist es unter einer freiheitlichen Verfassung erlaubt, egoistisch für die eigenen Interessen einzutreten, und das auch gegenüber Abgeordneten. Wie müssen die Parlamentarier reagieren? Sie sind Vertreter des „ganzen Volk[s]“ und so wie alle Staatsgewalt dem Gemeinwohl verpflichtet. In einer Demokratie hängt das Gemeinwohl maßgeblich von den Einzelinteressen der Bürger ab. Daher dürfen auch gemeinwohlgebundene Abgeordnete die Einzelinteressen im Volk zur Kenntnis nehmen und im Gesetzgebungsverfahren die betroffenen Verbände anhören. Diese Chance, Einfluss zu nehmen, muss nach sachlichen Gesichtspunkten verteilt und sollte transparent werden. Das gilt auch mit Blick auf Lobbyisten außerhalb des Parlaments. Wussten Sie, dass Verbände, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen eigene Mitarbeiter in die Behörden entsenden? Mitarbeiter, die wie Staatsdiener in das Tagesgeschäft eingebunden die Arbeit der Behörde verrichten aber weiter von ihren privaten Arbeitgebern bezahlt werden, zu denen sie anschließend zurückkehren? Fälle dieser Art hat es auch in Niedersachsen gegeben. Wie die Staatskanzlei auf meine Bitte eigens für das 8. Wissensforum ermittelte, gab es seit 2003 vier vergleichbare Einsätze, alle im Geschäftsbereich des Gesundheitsministeriums. Im Bund haben sich zahlreiche Dax-Konzerne und alle Bundesministerien an diesen Einsätzen beteiligt; das Prozedere hat noch jeden Regierungswechsel überlebt. Dabei ist es verfassungswidrig. Das Kernproblem ist ein struktureller Interessenkonflikt: Als Mitarbeiter im Ministerium muss ein Entsandter neutral wie ein Beamter im Interesse der Allgemeinheit handeln. Doch ein solches Handeln liegt nicht notwendig im Interesse des privaten Arbeitgebers. Die Einbettung des Entsandten erreicht das verfassungsrechtlich vorgeschriebene rechtsstaatliche Neutralitätsniveau also nur, wenn wirksame Sicherungsvorkehrungen den Interessenkonflikt begrenzen. Dazu hat die Bundesregierung eine Verwaltungsvorschrift erlassen. Doch sie verfehlt ihr Ziel, weil sie kaum eine Pflicht ohne Ausnahme vorsieht. So darf der Externe ausnahmsweise sehr wohl Funktionen wahrnehmen, die die Geschäftsinteressen seines privaten Arbeitgebers unmittelbar berühren. Deshalb verstößt die Verwaltungsvorschrift gegen das Rechtsstaatsprinzip. Sachverstand, der in der Verwaltung fehlt, muss die Behörde bei unabhängigen Sachverständigen besorgen, nicht bei abhängig beschäftigten Interessenvertretern. Nicht jede Pflanze, die in einem Biotop wächst, steht unter Naturschutz!