Zugehört. Was sagt die Stimme über meinen Charakter?
- 11.11.2016
- Unsere Stimme ist unverwechselbar. Mühelos erkennen wir unsere Geschwister oder Freunde an ihrer Stimme – selbst wenn wir sie gar nicht sehen. Sofort können wir erkennen, ob eine Sprecherin oder ein Sprecher wütend, ängstlich oder auch einfach nur gelangweilt ist. Aber was sagt die Stimme über den Charakter der Person aus? Aus anatomischer Sicht zunächst erst einmal gar nichts. Niemand ist deshalb wütend, weil sie oder er einen großen Kehlkopf hat oder weil ein großes Lungenvolumen zur Verfügung steht, um ohne Luft zu holen länger schimpfen zu können. Der Eindruck, wütend zu sein, entsteht vielmehr aus der Art, wie die Stimme „gebraucht“ wird. Menschen werden als wütend eingeschätzt, wenn sie beispielsweise laut und mit Nachdruck sprechen. Hinzu kommen möglicherweise Kraftausdrücke sowie – in einer persönlichen Situation – die Körpersprache und die Mimik. Diese Signale der Sprecherin werden von den Gesprächspartnern interpretiert: Dass jemand wütend ist, schlussfolgern die Hörerinnen und Hörer aus ihren Erfahrungen, vielleicht weil sie die Sprecherin oder den Sprecher schon häufiger wütend erlebt haben. Oder weil diese sich so verhalten wie andere wütende Menschen in unserem Kulturkreis. Für die Hörer verhält sich eine wütende Person einfach stimmlich und in der Körpersprache so, wie es von einem wütenden Menschen erwartet wird. Ist die Person deshalb ein impulsiver Mensch, der sich schnell aufregt? Vielleicht ist das so. Vielleicht hat die Person aber auch gerade eine wirklich ärgerliche Situation erlebt und will sich gehörig Luft machen. Vielleicht würden manche ihre Wut aber auch nur in einem privaten Gespräch so deutlich zu erkennen geben. In einer Sitzung an der Uni würden Lehrende möglicherweise gerade leiser und sehr deutlich sprechen und starkes Gestikulieren unterdrücken. Man würde ihrer Stimme vielleicht gar nicht anmerken, dass sie sich jedes Mal maßlos über diese Sitzungen aufregen. In dieser Situation würden die Zuhörerinnen und Zuhörer sehr wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass die Sprechenden sehr beherrschte Menschen sind, die sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lassen. Der Eindruck, den wir von einer Stimme haben, ist demzufolge eng verbunden mit der Gesprächssituation, dem Gesprächsinhalt sowie dem Gesprächsverhalten der sprechenden Person. Selbst wenn es uns gelänge, diese Informationen auszublenden, beeinflussen unsere eigenen Erfahrungen und Erwartungen, welche Gefühle eine Stimme in uns auslöst. Um das zu verstehen, lohnt ein Blick auf andere Kulturkreise: Eine sehr tiefe und laute männliche Samurai-Stimme gilt in Japan als Zeichen von Männlichkeit – in den USA dagegen als Zeichen von Niedertracht. Eine wütende weibliche Stimme würde in Japan vermutlich einfach nur Kopfschütteln hervorrufen. Was sagt uns das über den Zusammenhang von Stimme und Charakter? Die Stimme ist sehr wohl der Spiegel der Seele und zeigt unsere Stimmungen an. Unsere Stimme signalisiert, ob wir ängstlich oder wütend sind. Über den Charakter sagt die Stimme jedoch vorrangig eins aus: dass wir viele verschiedene Facetten menschlicher Gefühle durchleben. Und das ist doch eine gute Nachricht, oder?