Das Fortsetzungsprojekt fächert die Frage nach den Auswirkungen, die Sprachkontakt auf die Intonation der beteiligten Varietäten nimmt, auf und bezieht ein weiteres Kontaktszenario mit ein: Zur bereits exemplarisch untersuchten Diglossiesituation zwischen Okzitanisch und Französisch im Departement Tarn (Südfrankreich) treten Erhebungen in okzitanischsprachigen Alpentälern zu beiden Seiten der französisch-italienischen Staatsgrenze. In die vergleichende prosodische Analyse der okzitanischen Daten und ihre Kontrastierung mit Daten aus den entsprechenden französischen und piemontesischitalienischen Kontakt- und Standardvarietäten sollen insbesondere dauer- und prominenzbasierte Aspekte des sprachlichen Rhythmus einbezogen werden, um so die suprasegmentalen Charakteristika der betreffenden Varietäten umfassend zu beschreiben, ihren Platz in der Rhythmustypologie zu bestimmen und prosodische Interferenzen zu identifizieren. Den theoretischen Rahmen bildet das Autosegmental-Metrische Modell, dessen metrische Anteile aufgrund der Analysen zugleich präzisiert werden sollen. Weiterführung und Abschluss der Arbeiten am okzitanischen Intonationsatlas sichern den erforderlichen Hintergrund für die sprachtypologisch orientierten Untersuchungen. Im Spannungsfeld von Sprachentwicklung und Variation will das Projekt einen Beitrag zum besseren Verständnis von Prosodie und ihrer Veränderlichkeit durch Sprachkontakt leisten.
Projektlaufzeit
01.04.2012 - 30.06.2015
Ergebniszusammenfassung
Im Süden Frankreichs befinden sich die galloromanischen Sprachen Okzitanisch und Französisch seit Jahrhunderten in engem Kontakt. Im Rahmen des autosegmental-metrischen Modells war es Ziel unserer Projekte, die Prosodie bilingualer Okzitanisch-Französisch-Sprecher in ihren beiden Sprachen zu analysieren und mit der monolingualer Sprecher des Nordfranzösischen sowie bilingualer Okzitanischsprecher aus anderen Sprachkontaktkonstellationen – v.a. Okzitanisch im Kontakt mit Piemontesisch und Italienisch – zu vergleichen. Die erhobenen Daten liefern umfangreiche Korpora der untersuchten Varietäten; besonders für das Okzitanische als hochgradig bedrohte Sprache stellt eine solche Dokumentation bereits ein wertvolles Zeugnis dar. Mithilfe dieses Korpus konnte zudem die erste umfassende Beschreibung des prosodischen Systems des Okzitanischen erstellt werden. Darüber hinaus hat der Vergleich der verschiedenen Varietäten gezeigt, daß sich das Okzitanische im Hinblick auf die Intonationsphonologie in allen Kontaktsituationen an die dominierende Sprache angepaßt und deren Konturen weitgehend entlehnt hat. Auch was prosodische Phrasierung und metrische Struktur angeht, sind Anleihen beim Französischen zu verzeichnen: in beiden Sprachen fällt die Betonung stets auf die letzte metrisch starke Silbe einer prosodischen Einheit, die mehrere lexikalische Wörter umfassen kann; daneben kann diese sog. Akzentphrase (AP) noch einen initialen Tonhöhenanstieg aufweisen. Der interne Aufbau der AP ist im Nordfranzösischen und in den südlichen Varietäten jedoch nicht identisch. Während im Norden der Wortakzent vollständig verlorengegangen ist, können im Okzitanischen und im Südfranzösischen auch AP-interne Wörter Tonhöhenbewegungen aufweisen. Im Okzitanischen fallen diese mit der den Wortakzent tragenden Silbe zusammen, im Südfranzösischen treffen sie die letzte volle Silbe eines Wortes. Trotz der Relevanz der AP manifestiert sich hier also ein Wortakzent, der als Bindeglied zu den südromanischen Sprachen fungiert. Mit ihrer Prosodie stellen Okzitanisch und Südfranzösisch folglich innerhalb der romanischen Sprachlandschaft ein Übergangssystem zum Nordfranzösischen dar, dessen prosodische Sonderstellung auf diese Weise besser nachvollziehbar wird. Allerdings ist der Wortakzent in Südfrankreich mit der Übernahme der AP als Domäne für die Akzentzuweisung deutlich abgeschwächt worden; seine akustische Markierung innerhalb der AP ist heute optional. Der prosodische Transfer ist also in beide Richtungen gegangen. Die Intonation hat sich als offenes System erwiesen, das Einflüsse aus der dominierenden Sprache annimmt. Die metrische Struktur ist dagegen resistenter und wird beim Sprachwechsel zumindest teilweise auf die dominante Sprache übertragen.