Wenn der Schuldenberg wächst. Ist die Privatinsolvenz in Corona-Zeiten ein Ausweg?
- 13.11.2020
- Die Pandemie verursacht bei vielen Haushalten Einnahmeausfälle durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Deshalb wird die Zahl der Privatinsolvenzen sehr wahrscheinlich bald zunehmen. Insolvenz bedeutet, dass jemand überschuldet oder zahlungsunfähig ist, also mehr Schulden hat, als er oder sie zurückzahlen kann. Schon 1999 wurde ein neues gerichtliches Verfahren eingeführt, das sogenannte Verbraucherinsolvenzverfahren, durch das Menschen von ihren Schulden befreit werden können. Damit ist ein Ausweg entstanden. Weit mehr als eine Millionen Menschen sind seither von ihren Schulden befreit worden. Voraussetzung für eine Schuldbefreiung ist eine lange „Wohlverhaltensphase“. Diese dauerte früher sechs Jahre. Eine gute Nachricht für Schuldner ist, dass der Bundestag am 17. Dezember 2020 beschlossen hat, diese Frist auf drei Jahre zu verkürzen. Diese Verkürzung gilt sogar rückwirkend für alle seit Oktober 2020 begonnenen Insolvenzverfahren. Da der Bundesrat nicht den Vermittlungsausschuss angerufen hat, ist dieses Gesetz damit wie geplant noch vor dem Jahresende 2020 zustande gekommen. Wie so häufig bei Reformen war es die EU, die den Anstoß gegeben hat. Eine EU-Richtlinie schreibt vor, dass bei insolventen Unternehmern die Wohlverhaltensphase nur noch drei Jahre betragen darf. Unter dem Eindruck der Corona-Krise hat darauf die Bundesregierung im Sommer 2020 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der über die EU-Richtlinie hinausgeht und eine Art Turbo-Insolvenzverfahren einführt. Die Verkürzung der Wohlverhaltensphase auf drei Jahre soll nach dem Willen der Bundesregierung nicht nur, wie es die EU vorschreibt, Unternehmern zugutekommen, sondern auch Verbrauchern. Damit hat die Bundesregierung die Corona-Krise zum Anlass genommen, insolvente Schuldner sehr viel schneller als bisher von ihren Schulden zu befreien. Während der nun nur noch dreijährigen Wohlverhaltensphase muss der Schuldner alles tun, um Schulden abzuzahlen. Er muss eine Erwerbstätigkeit ausüben oder sich jedenfalls darum bemühen und darf kein Vermögen verschweigen. Nur einen Teil seines Einkommens darf er behalten. Wer zum Beispiel 2.600 Euro netto im Monat verdient und keine Unterhaltspflichten hat, muss knapp 1.000 Euro abgeben. Nach der Wohlverhaltensphase erlöschen die restlichen Schulden, lediglich die Kosten des Insolvenzverfahrens müssen dann noch abgestottert werden. Wenn jedoch der Schuldner Vermögen oder Einkünfte während der Wohlverhaltensphase verschweigt oder sonst gegen seine Pflichten verstößt, dann war alles vergebens. Die Schulden erlöschen nicht und er kann frühestens erst wieder nach drei Jahren einen neuen Anlauf zur Schuldbefreiung unternehmen. Ein solches Insolvenzverfahren ist nicht immer sinnvoll. Wenn das Nettoeinkommen niedrig ist und keine Aussicht besteht, dass es sich erhöht, würde es wenig bringen, aber erhebliche Kosten verursachen. Wer zum Beispiel weniger als 1.200 Euro netto Rente bezieht, darf trotz Schulden alles behalten. Es reicht aus, bei seiner Bank ein sogenanntes Pfändungsschutz-Konto („P-Konto“) zu beantragen, welches das Einkommen vor Pfändungen schützt. Nur wenn der Schuldner die Schulden um der Ehre willen loswerden will, macht ein Insolvenzverfahren in solchen Fällen Sinn. In jedem Fall empfiehlt es sich, sobald die Schulden drückend werden, fachkundige Hilfe bei einer Schuldnerberatung oder einem Rechtsanwalt zu suchen. Dies kostet viel weniger als eine Insolvenz und kann helfen, sie zu vermeiden. Eine Erstberatung ist häufig sogar kostenlos.