Juristendeutsch. Pardon, geht es auch verständlicher?
- 13.11.2020
- „Durch den Einsatz aktueller Virusvektortechnologien und zellpermeabler virusähnlicher Partikel als Epitopträger haben wir die Möglichkeit, neue rekombinante Kandidatenimpfstoffe abzuleiten.“ Das war Virologendeutsch. Warum dieses Beispiel? Weil es nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist, dass wissenschaftliche Aussagen und Fachsprachen nicht ohne Weiteres verständlich sind. Auch Jura ist eine Fachsprache und damit eine Art Fremdsprache, die gelernt oder eben ‚übersetzt‘ werden muss. Warum ist es dennoch ein richtiges Anliegen, dass Recht verständlich sein sollte? Warum sind wir nicht so geduldig mit Juristendeutsch wie mit Virologendeutsch? Weil Recht den Anspruch erhebt, unser aller Verhalten zu regeln, zu steuern. Das geht nur dann, wenn die Adressaten dieses Recht auch verstehen können, wenn sie wissen können, was sie tun dürfen und was nicht. Schon seit Tausenden von Jahren wird also immer wieder debattiert, wie Recht bekanntzumachen ist und wie es verständlicher formuliert werden kann. Unter anderem wurde erwogen, Gesetze in ‚volkstümlichen‘ Kurzfassungen wiederzugeben oder an der Schule einen ‚Gesetzeskatechismus‘ zu unterrichten. Wieso ist dann weiterhin Einiges schwer verständlich? Weil wir immer komplexere Sachverhalte immer detaillierter regeln müssen, nicht zuletzt wegen der Erwartungen der Bürger und Bürgerinnen an das Recht. Ein Beispiel: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“ So beginnt die Straßenverkehrsordnung, die Sie alle kennen; eine einfache klare Norm. Und was wissen Sie jetzt? Wo dürfen Sie parken? Wie schnell dürfen Sie fahren? Wer hat Vorfahrt? Wie nah darf man Radfahrer überholen? Keine dieser Fragen können Sie mithilfe der genannten Norm eindeutig beantworten. Und deshalb werden Details geregelt und neue Erfahrungen in neues Recht übernommen. Und jetzt stellen Sie sich das Ganze vor für die Anlage eines Atommüllendlagers oder die Haftung von IT-Unternehmen. Sprache ist Gegenstand und Werkzeug der Juristinnen und Juristen. Die Ausbildung müsste daher viel Wert auf Sprachbewusstsein und Sprachfähigkeit legen. Die Grundlagen dafür werden aber in früheren Jahren erworben – oder eben nicht. Unter den Bedingungen der Massenuniversität können wir entsprechende Defizite kaum ausgleichen. Wir bringen den angehenden Juristinnen und Juristen juristische Technik und Fachsprache bei. Wir vermitteln ihnen nicht immer ausreichend, diese Fachsprache dann auch wieder ‚übersetzen‘ zu können. Und natürlich wird Juristendeutsch, wie andere Fachsprachen auch, von manchen als ‚Expertensprech‘ genutzt. Unverständlichkeit dient dann gerade dazu, sich abzuheben, steigert – vermeintlich – die Bedeutung der Experten. Dabei erkennt man gute Juristinnen gerade daran, dass sie Recht erklären und vielleicht nicht immer schöne, aber klare Texte schreiben können. Recht wird nicht nur von Juristen gemacht. In einer Demokratie ist Recht auf Kompromissen beruhende geronnene Politik. Die Politik formuliert nicht selten ganz anders, als die begleitenden Juristinnen das gern gesehen hätten. Antwort eins: Ja, es geht manchmal einfacher und verständlicher. Antwort zwei: Nein, manchmal geht es nicht einfacher. Einfachheit kann sogar umgekehrt auf Kosten der Verständlichkeit und der Rechtssicherheit gehen. Nicht zuletzt sind es unsere gesellschaftlichen Erwartungen an Einzelfallgerechtigkeit, die das Recht komplizieren. Dass Juristendeutsch schwer verständlich ist, liegt also nicht nur an den Juristen. Verständlichkeit einzufordern und als Ziel zu verfolgen, bleibt aber richtig.